Samstag, 29. August 2015

Buchbesprechung: Bird Box (Josh Malerman, 2014)




Unterhaltungsliteratur, insbesondere die US-amerikanische, ist meistens bereits auf die spätere Verfilmung hin ausgelegt.

So begann meine letzte Buchbesprechung zu Andy Weirs enttäuschenden Der Marisaner. Die über Josh Malermans Bird Box könnte genauso beginnen, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Denn sollte Bird Box jemals verfilmt werden, könnte die Geschichte die Realisatoren vor einige Herausforderungen stellen, spielt ein nicht unerheblicher Teil doch in einer selbstgewählten Blindheit der Figuren, die nur so überleben können. Doch der Reihe nach.

Bird Box beginnt mit dem üblichen Ausgangspunkt der nahenden Apokalypse: es häufen sich Medienberichte über Menschen, die, nachdem sie etwas nicht Identifizierbares gesehen haben, in Wahnsinn verfallen und erst die Menschen in ihrer Umgebung und dann sich selbst töten. Von den einsamen Landstraßen Russlands aus breitet sich das Phänomen unaufhaltsam über den Erdball aus, bis es auch die Kleinstadt der schwangeren Protagonistin Malorie erreicht. Diese findet, nachdem die Lage immer verzweifelter wird, Zuflucht in einer Zweck-WG aus den unterschiedlichsten Charakteren, die ihr Leben in einem Haus mit verhängten Fenstern fristen und nur mit verbundenen Augen die Außenwelt betreten. Denn, so viel scheint gesichert, man muss etwas sehen, um dem Wahnsinn anheim zu fallen. Dieses Etwas scheinen irgendwelche Wesen zu sein, gesichert ist diese Theorie aber nicht. Die Gemeinschaft versucht, so gut es geht zu überleben, doch interne Spannungen bauen ein immer größeres Minenfeld auf …

Was nach Endzeit-Standardware klingt, ist durchaus flott und zumindest annehmbar überraschend erzählt. Non-linear wird vieles vorweggenommen, die Wege zu den dann bereits bekannten Situationen aber involvierend an den/die LeserIn gebracht. Zudem bemüht sich Malerman um eine nicht allzu gängige Sprache, Bird Box liest sich nicht so genügsam wie ein x-beliebiger Genrethriller. Stakkatoartig geht es hier oft zu, atemlos, die Beschreibungen evozieren eine Welt, über die sich ein monochromer Filter gelegt hat. Selbst wenn von Sonnenschein und Wärme gesprochen wird, suggeriert Malermans Sprache eine Welt, aus der sich die Farben weitestgehend zurückgezogen haben, in der nur noch gräuliche, schmutzige Schattierungen existieren.

Dies kommt dem Spannungsaufbau zugute, zumal Malerman nicht in die Rolle des omnipräsenten Erzählers abdriftet. Wenn sich Malorie hinauswagt, ist der Leser ebenso blind wie sie und auf ihre Interpretationen der Welt angewiesen. Dies erzeugt eine große Nähe beispielsweise bei den Prunkstücken der Horrorsequenzen, die in einer Bar und auf einem Dachboden spielen, eben weil der Leser durch den Autor nicht in die Funktion des Mehrwissenden gedrängt wird. Das Grauen ist nur so weit fassbar, wie es für die Charaktere möglich ist. So ist es nur konsequent, dass über die Natur der Bedrohung Vermutungen angestellt werden, sie aber nicht überprüft werden können. Die Wesen, wenn es denn welche sind, können weder als Fakt noch als Fiktion abgetan oder erklärt werden, es bleibt nur die nackte Angst über die Existenz von Etwas. Malerman offeriert gerade so viele Informationen, damit der Leser genug Futter für Spekulationen und Konzepte bekommt, ohne die charakterlich greifbare Zone zu verlassen. Es ist das im wahrsten Sinne und immer wieder potente Unsichtbare, dass das Leben bedroht, das Monster unter dem Bett, das nie in Erscheinung tritt und dennoch grausige Realität ist.

Bird Box erfindet das Horrorgenre nicht neu, bietet aber genug Gestaltungswillen und vor allem Unterhaltungswert, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Die Charaktere sind zwar in ihrer Tiefe sehr unterschiedlich ausgearbeitet, immerhin wird aber nicht auf die üblichen Sympathiepunkte gesetzt. Malorie beispielsweise hat durchaus ihre negativen Züge, auch wenn diese durch die Situation selbstredend verständlich sind. Das Ende ist etwas gehetzt und lässt Spielraum für eine potenzielle Fortsetzung (die aber nicht zwingend notwendig ist und Gefahr läuft, zu viele offene Fragen, die der Atmosphäre willens nicht beantwortet werden müssen, zu klären), ansonsten ist Bird Box für den Genreinteressierten Leser sicherlich ein empfehlenswertes Buch für zwischendurch. Denn bei nur knapp über 300 Seiten und dem treibenden Stil Malermans ist diese Horrorgeschichte fast ebenso schnell wieder vorbei, wie sie begonnen hat. Und auch das passt gut zu der beschriebenen Apokalypse, die es im Wust ähnlicher Erzählungen tatsächlich schafft, Unbehagen zu erzeugen.

Freitag, 7. August 2015

Buchbesprechung: Der Marsianer (Andy Weir, 2011/2014)




Unterhaltungsliteratur, insbesondere die US-amerikanische, ist meistens bereits auf die spätere Verfilmung hin ausgelegt. In gewisser Missachtung der medialen Unterschiede wird mit Kapiteln gearbeitet, die wie Plansequenzen aufgebaut sind, mit oberflächlichen Formulierungen, die sich wie Regieanweisungen lesen und Charaktersierungen, die sich nahtlos in eine gängige 2-Stunden-Narrative einfügen. Der Science-Fiction-Bestseller Der Marisaner von Andy Weir macht da keine Ausnahme. Es ist gefällig, was man auf den knapp über 500 Seiten geboten bekommt, durchaus unterhaltsam zu lesen, aber letztlich so flach, dass es der Prämisse des Romans auf groteske Weise nicht gerecht wird.

Denn: Mark Watney, der Protagonist, überlebt einen Unfall bei einer bemannten Marsmission, seine Crew flieht vom roten Planeten und lässt den für tot gehaltenen Botaniker zurück. Dieser muss fortan auf sich allein gestellt in einer Umwelt überleben, die Leben, insbesondere menschliches, eigentlich nicht unterstützen kann.

Dieser Ausgangspunkt schreit ja förmlich danach, sich mit den Herausforderungen der Isolation auseinanderzusetzen, was der abrupte Abbruch zu jedem menschlichen Kontakt mit dem unfreiwilligen Robinson Crusoe anstellt, wie er mit dieser Situation umgeht. Ja, man erfährt durchaus, wie Watney mit seinem Leben auf dem Mars zurechtkommt, allerdings fast ausschließlich auf einem technischen Level. Es wird viel gerechnet in Der Marsianer und das hat selbstredend seine Berechtigung, aber Weir verharrt an diesem Punkt. Wann immer er zaghaft versucht, Watney seine Gefühle beschreiben zu lassen, scheitert er bzw. flüchtet sich schnell in launige Gags.

Der Marsianer ist ein humorvolles Buch, sehr viel mehr, als ihm guttut. Ständig werden Situationen ironisch gebrochen, Watney wird passenderweise als Alleinunterhalter der Mannschaft charakterisiert, der auch dann noch weitermacht, wenn er mutterseelenallein auf einem anderen Planeten festsitzt. Weir nimmt nichts ernst, weder seine Prämisse und schon gar nicht seine Hauptfigur. Will man einen Roman über einen in Agonie versunkenen Einsiedler lesen? Nein, aber die völlige Verweigerung von jeglicher Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen (Watney ist augenscheinlich Weirs Alter Ego) hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Der Marsianer ist viel zu ironisch, zu sehr „tongue-in-cheek“, worunter letztlich die Spannungskurve leidet. Zwar geht einiges schief, aber dank unglücklichem „foreshadowing“ (Stichwort Wohnkuppelplane an der Luftschleuse) und dem Verpuffen dramatischer Effekte (z.B. der Sandsturm auf dem Weg zum MRM) hält sich die Spannung in Grenzen. Nie hat man das Gefühl, dass Watney wirklich auf dem Mars sterben könnte, die Möglichkeit ergibt sich aus dem sorglosen Ton überhaupt nicht.

Der Roman ist flüssig geschrieben, ohne Frage. Wie erwähnt wirkt er oft wie sein eigenes Drehbuch, aber das muss man bei einem Bestseller in diesem Segment wohl in Kauf nehmen. Watneys Bastelleien sind interessant, manche Situationen sind in ihrem dramaturgischen Aufbau gar hervorragend. Am Ende fehlt aber die emotionale Tiefe, die Raffinesse, um aus der Geschichte eines gestrandeten Astronauten einen wahrlich großen Roman zu machen. Der Marsianer ist leicht goutierbare, oft frustrierend oberflächliche Unterhaltung, in der so viel mehr Potenzial steckt als Weir ihr zutraut. Letztlich unterfordert er so auch den Leser, der vielleicht mehr lesen möchte als eine Überlebens-Machbarkeitsstudie mit gelegentlichen Gags über Discomusik, 70er-Jahre-TV und schwule Sonden. Der Clown verliert hier nie seine  Maske, weil Weir sich offensichtlich gar nicht vorstellen kann, dass dahinter etwas anderes stecken könnte. Und so lernen wir: das Stranden auf dem Mars ist im Grunde gar nicht so die große Sache. Ziemlich dürftig für einen Roman mit solch einer vielversprechenden Grundidee.